Wir kotzten wie die Reiher 11FREUNDE

November 2024 · 5 minute read

Uwe Seeler, Jürgen Werner hat über Sie geschrieben: 1946 begann die Bezie­hung Uwe Seeler und HSV auf einem kleinen Sport­platz in Och­sen­zoll.
Das stimmt. So kurz nach dem Krieg lag Ham­burg ja noch in Schutt und Asche, aber am Och­sen­zoll baute Gün­ther Mahl­mann – damals Stu­di­enrat – die Jugend­ar­beit beim HSV wieder auf. Und ich war mit dabei. So wie Jürgen Werner und all die anderen Jungs, die später den HSV sym­bo­li­sierten.

In wel­cher Jugend star­teten Sie?
1946 gab es noch keine Jugend­teams, wie man das heute kennt. Wir fingen in der fünften Mann­schaft an, natür­lich waren die Teams in ver­schie­dene Alters­klassen ein­ge­teilt. Aber es konnte durchaus vor­kommen, dass man als talen­tierter 11-Jäh­riger gemeinsam mit 15-Jäh­rigen auf dem Platz stand. Die Ver­bände hatten das aber bald gere­gelt und wir liefen für die HSV-Kna­ben­mann­schaft auf.

So kurz nach dem Krieg – wie oft mussten Sie hungrig zum Trai­ning?
Gar nicht so häufig, wie man denken könnte. Ich komme zwar aus sehr ein­fa­chen Ver­hält­nissen, aber weil mein Vater Erwin schon vor dem Krieg für den HSV gespielt hatte und nun so etwas wie eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur im Verein war, hatten wir See­lers immer ein paar kleine Vor­teile.

Zum Bei­spiel?
Damit die HSV-Herren nicht mit leerem Magen auf den Platz mussten, spen­dierte der Verein ordent­li­ches Essen. Ich war der­je­nige, der die großen Pötte mit Essen ins Ver­eins­heim am Rothen­baum schleppen musste. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass da nicht regel­mäßig auch genü­gend Futter für die Familie Seeler abfiel…

Die HSV-Jugend trai­nierte der­weil am Och­sen­zoll. Gut zwölf Kilo­meter von Ihrer Woh­nung in der Win­zel­dor­fer­straße in Ham­burg-Eppen­dorf ent­fernt. Wie sind Sie dahin gekommen?
Anfangs mit der U‑Bahn, später mit einem von mir selbst kon­stru­ierten Fahrrad. Dem Vater eines Mann­schafts­kol­legen gehörte ein Fahr­rad­ge­schäft, da habe ich so lange gear­beitet, bis ich zwei Räder und und einen Rahmen zusammen hatte. Damit ging es dann die zwölf Kilo­meter hin und zurück. Außer den Wett­kampf­tagen, da hat uns Trainer Gün­ther Mahl­mann das Trai­ning ver­boten – er wollte nicht, dass wir schon vor dem Spiel zu sehr ver­aus­gabten.

Bevor Sie beim HSV anfingen, sollen Sie eine äußerst ruhm­reiche Kar­riere als Stra­ßen­bolzer hin­ge­legt haben.
Aller­dings! Da ging es Straße gegen Straße, gespielt wurde auf Asphalt zwi­schen Schutt und Asche. Was beson­ders bei mir regel­mäßig für Schürf­wunden und blauen Fle­cken gesorgt hat, ich lag ja dau­ernd quer in der Luft.

Konnte man damals schon die kom­mende Welt­kar­riere von Seeler junior erahnen?
Ich urteile sehr ungern über mich selbst, aber was ich Ihnen immerhin ver­raten kann: Ich wurde meis­tens als Erster in die Mann­schaften gewählt, obwohl ich der Kleinste und Jüngste war. Mein Bruder Dieter ist fünf Jahre älter als ich, aber der musste immer warten, bis sein kleiner Bruder zuge­lost worden war…

Was, außer blauen Fle­cken, haben Sie noch in Erin­ne­rung, wenn Sie an die Zeit auf der Straße denken?
Bälle und Fens­ter­scheiben. Die Bälle waren unsere Schätze, unsere Hei­lig­tümer. Mit denen wurde so lange gebolzt, bis die Luft voll­ständig aus ihnen ent­wi­chen war – und dann haben wir sie wieder eigen­händig zusammen genäht. Das waren am Ende rich­tige Eier, aber immer noch unsere Schätze. Das Thema Fens­ter­scheiben endete für mich meis­tens schmerz­haft: Wann immer ein Fenster in Eppen­dorf zu Bruch ging, wurde ich dafür ver­ant­wort­lich gemacht. Häufig zu Recht. Zu Hause gab es dann ein paar Hiebe mit dem Koch­löffel von Mut­tern. Glück­li­cher­weise hielt sich der finan­zi­elle Schaden meist in Grenzen. Bei uns im Haus wohnte Gla­ser­meister Buhl, bei dem hatte mein Vater schon einen spe­zi­ellen Deal aus­ge­han­delt.

Ihr Vater Erwin wurde beim HSV nur Old Erwin“ oder gleich Vadder“ genannt. Haben Sie beim Bolzen wenigs­tens mit seinen alten Schuhen auf­trumpfen können?
Ach was, die waren mir doch viel zu groß. Schuhe bekam man damals nur gegen Bezugs­schein, die waren also extrem rar. Meine waren immer ziem­lich schnell kaputt, aber barfuß ging ja auch nicht bei all den Glas­split­tern und Trüm­mer­teilen auf der Straße. Also habe ich mir die Töppen meiner Schwester geliehen“ und als die Sohle schon halb ab war, wieder zurück in ihren Schrank gelegt. Mein Gott, das gab ein Theater!

Sie kommen aus einer rich­tigen Fuß­baller-Familie, Ihr Vater war Fuß­baller, Ihr älterer Bruder auch – da war doch eigent­lich klar, dass Sie auch Fuß­baller werden mussten.
Nicht unbe­dingt, denn mein Vater hat uns nie dazu gedrängt in seine Fuß­stapfen zu treten. Der hat Dieter und mir nur eines gesagt: Damit ihr Bescheid wisst: Weich­eier will in meinem Haus nicht haben.“ Das saß. Er war ja selbst ein harter Kerl, der im Hafen malochte und auch auf dem Fuß­ball­platz keine Gefan­genen machte. Wenn wir mit Beulen, Schrammen oder kleinen Wunden nach Hause kamen, wurde ein nasser Lappen über die ver­letzte Stelle gelegt und gut war. Das hat mich geprägt, kein Zweifel.

Dabei wäre Ihre HSV-Kar­riere fast geschei­tert, bevor sie über­haupt begonnen hätte: Schon nach den ersten Übungs­ein­heiten am Och­sen­zoll sollen Sie lieber wieder auf der Straße gebolzt haben, als regel­mäßig zum Trai­ning zu gehen…
Auf der Straße bei den Jungs war ich der König. Das war natür­lich reiz­voller, als sich im Trai­ning zu schinden.

Was hat Sie letzt­lich bekehrt?
Wieder einmal mein Vater. Mein Bruder kam eines Abends vom Trai­ning nach Hause und meinte: Ich soll dir von Herrn Mahl­mann aus­richten, dass du ruhig auch mal wieder zum Trai­ning kommen könn­test.“ Das hat mich aller­dings nicht son­der­lich beein­druckt.

Was hat Ihr Vater gesagt?
Er meinte: Wie du willst. Ich habe nur gedacht, dass du ein guter Fuß­ball­spieler werden willst.“ Das saß erneut! Wenig später tauchte ich wieder reu­mütig am Och­sen­zoll auf. Auch, weil mir Gün­ther Mahl­mann inzwi­schen gedroht hatte, mich bei den Punkt­spielen nicht mehr ein­zu­setzen.

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